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Karrierechance statt Warteschleife : Datum:

Mit schlechtem Zeugnis finden Jugendliche häufig keinen Ausbildungsplatz und drücken im Übergangssystem oft weiter die Schulbank. Gleichzeitig suchen viele Unternehmen händeringend Auszubildende wie Fachkräfte. Beim InnoVET-Projekt „BBChemie“ starten leistungsschwächere Jugendliche direkt in die Metall-Ausbildung – und holen dort mächtig auf.

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Volle Konzentration: Die Azubis lernen bei der begleiteten Ausbildung miteinander – und voneinander. Copyright: Provadis

Am Anfang stand für Mohamed Marchoui bei der Ausbildungssuche eine Absage. Doch die entwickelte sich für ihn zum Glücksfall: Mit einem Platz für eine dreieinhalbjährige Ausbildung als Anlagenmechaniker oder Industriemechaniker hatte es nicht geklappt. Da erhielt er vom InnoVET-Projekt „BBChemie“ ein Angebot: eine zweijährige Ausbildung zur Fachkraft für Metalltechnik, Ausbildungsvertrag bei einem Unternehmen von Anfang an, nach erfolgreichem Abschluss die Option auf weitere eineinhalb Jahre bis zum Ziel Industriemechaniker – und das verbunden mit einer intensiven Lernprozessbegleitung.

„Wir bekommen Leistungsschwächere so auf Trab, dass man nach den zwei Jahren mit unserer Betreuung davon nichts mehr merkt. Dass wir sie zu den Leistungsstarken hinarbeiten und sie sich persönlich weiterentwickeln“, erklärt Fachausbilder Davide Muratore vom Bildungsdienstleister Provadis den Vorteil des Ausbildungsmodells „Ermöglichungsstrategien“.

Direkteinstieg in die Ausbildung für alle Bewerber

Das Projekt will damit einen Weg finden, um mehr Fachkräfte in Metallberufen für die Chemiebranche zu gewinnen. Denn ohne sie stehen Produktionsanlagen in Industrieparks ziemlich schnell still. Auf der anderen Seite gehen Bewerber mit schlechten Noten bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz häufig leer aus. Bei den „Ermöglichungsstrategien“ stehen die Potenziale solcher Bewerber im Fokus und sie bekommen die Chance auf einen direkten, begleiteten Start in die Ausbildung.

Auch wenn in der Schule das Lernen nicht immer leichtfiel: Mohamed Marchoui musste beim Angebot von „BBChemie“ nicht lang überlegen, diese Chance zu ergreifen. Denn die Alternative kam für ihn nicht in Frage: ein Jahr im Übergangssystem und dann ein neuer Anlauf zum Ausbildungsplatz. So startete Mohamed Marchoui im Herbst 2021 im Ausbildungsmodell „Ermöglichungsstrategien“ beim Unternehmen Infraserv Höchst in Frankfurt. Raus aus der Schule, rein in die Praxis.

Dabei an Mohameds Seite: Die Lernprozessbegleitung des Bildungsdienstleisters Provadis mit Fachausbilder Davide Muratore und Sozialpädagogin Valeria Bogomolny. „Wir wissen, dass es Nachholbedarf in einigen Bereichen gibt. Aber die jungen Leute haben direkt die Chance, eine Ausbildung zu starten – mit einem besonderen Begleitprogramm“, sagt Valeria Bogomolny und betont: „Wir stärken die Jugendlichen während der Ausbildung. Das unterscheidet uns vom Übergangssystem.“

Karrierechance statt Warteschleife

Mit schlechtem Zeugnis finden Jugendliche häufig keinen Ausbildungsplatz und drücken im Übergangssystem oft weiter die Schulbank. Gleichzeitig suchen viele Unternehmen händeringend Auszubildende wie Fachkräfte. Beim InnoVET-Projekt „BBChemie“ starten leistungsschwächere Jugendliche direkt in die Metall-Ausbildung – und holen dort mächtig auf. Zwei Auszubildende berichten von ihren Erfahrungen mit dem Ausbildungsmodell.

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Ein besonderes Begleitprogramm 

Das funktioniert so: Provadis übernimmt als Überbetriebliche Bildungsstätte Teile der praktischen Ausbildung für die Unternehmen. Zusätzlich zur Ausbildung betreuen die Lernprozessbegleiter die Auszubildenden intensiv, erkennen Potenziale und Lernbedarfe und bieten Unterstützung, individuell oder in der Gruppe. Dabei arbeiten Sozialpädagogen und Ausbilder im Team.  

Los geht es im ersten Ausbildungsjahr mit Grundlagenwissen, ohne das eine Ausbildung nicht funktioniert. So vermittelt zum Beispiel ein Mathematikkurs mit acht Terminen Basiswissen, denn ohne Rechnen und Zahlen geht es nicht in einem Beruf, wo es auf Genauigkeit ankommt. Neben den Grundlagen Feilen, Bohren, Sägen lernen die Azubis in der Ausbildung Drehen und Fräsen, Schweißverfahren, Flanschmontage, Rohrebiegen, Steuerungstechnik mit Hydraulik, Pneumatik und Elektrotechnik.

Um die Motivation zu stärken und von Anfang an den Bezug zur Berufspraxis herzustellen, sind die Auszubildenden direkt so viel wie möglich in ihren Ausbildungsbetrieben, lernen das Unternehmen und die Tätigkeiten kennen. „Wenn die jungen Leute verstehen, wofür sie das lernen, gestaltet sich der Lernprozess leichter“, sagt Valeria Bogomolny.

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Unterstützung nach Maß: Ausbilder Davide Muratore zeigt, worauf es ankommt. Copyright: Provadis

„Ich bin hier richtig aufgehoben“

„In der ersten Betriebsphase ist mir schon klar geworden, dass ich hier richtig aufgehoben bin“, berichtet Mohamed Marchoui. Bei Infraserv Höchst ist er in der Abteilung „Kälte, Kühlung, Wasser“ in der Instandhaltung eingesetzt und sagt, hörbar stolz: „Ich bin der Mann für alles, damit alles läuft oder wieder repariert werden kann.“

Neben fachlichen Kompetenzen sind die „Soft Skills“ wichtig. Im Lernseminar kommen die Jugendlichen einmal in der Woche zusammen, besprechen und reflektieren gemeinsam: Was ist meine Motivation für die Ausbildung? Was fasziniert mich? Was erwartet das Unternehmen von mir? Auch Teambuilding steht auf dem Programm – Schulterschluss statt Ellenbogen. „Es geht darum, den Übergang von der Schule in die Arbeitswelt zu schaffen“, sagt Valeria Bogomolny. Für Anas Bachire, der 2022 als Azubi bei der Firma H & R Industrierohrbau GmbH frisch gestartet ist, war das eine wichtige Hilfe.

Wenn die Grundlagen da sind, liegt der Schwerpunkt auf dem Lernen selbst: Wie sollte ich lernen? Welche Lernmethoden gibt es? Was bin ich für ein Lerntyp? Das soll die Azubis darauf vorbereiten, nach und nach selbstständiger zu werden in ihrem Lernprozess. „Das erste Jahr sind wir viel dabei und geben Tipps und Hilfestellung – und irgendwann lassen wir los. Dann müssen sie umsetzen, was sie beigebracht bekommen haben“, erklärt Bogomolny den Ansatz.

Azubis greifen sich gegenseitig unter die Arme

Ein wichtiger Teil ist dabei die Lerngruppenzeit: Die Azubis unterstützen sich bei den Arbeitsaufgaben und wiederholen gemeinsam den Lernstoff. Mohammed Marchoui hat dieses Format sehr geholfen: „Wir greifen uns hier gegenseitig unter die Arme.“ Im ersten Lehrjahr ist Davide Muratore als Fachausbilder dabei, im zweiten Jahr müssen die Azubis die Lerngruppe selbstständig organisieren und durchführen.

Ein Trumpf ist die räumliche Nähe und das vertrauensvolle Verhältnis von Azubis und Ausbilder-Team in der Ausbildungsstätte bei Provadis: Fragen stellen ist so jederzeit möglich. „Es ist eine sehr unmittelbare und intensive Begleitung, die näher dran ist als zum Beispiel die Assistierte Ausbildung“, sagt Projektleiterin Petra Esch. Mohamed Marchoui lobt: „Die Ausbilder investieren viel Zeit, damit ich alles kapiere. Bei der normalen Ausbildung wird sich weniger Zeit genommen.“ Anas Bachire bestätigt: „Es wird alles Schritt für Schritt besprochen, damit ich das sehr gut lernen kann.“

Die Investition zahlt sich aus

Diese „Investition“ in die Jugendlichen zahlt sich aus: Die im Jahr 2021 gestarteten Auszubildenden schnitten im theoretischen Teil der Zwischenprüfung ordentlich bis sehr gut ab. Nachholbedarf zeigte sich bei den praktischen Prüfungen, wo die Prüfungssituation einige Azubis aus der Bahn warf. Nach erfolgreicher Abschlussprüfung der Fachkraft für Metalltechnik im Juni 2023 wird der überwiegende Teil der Azubis direkt in die Ausbildung zum Industriemechaniker einmünden. Um dann nach weiteren eineinhalb Jahren mit zwei IHK-Abschlüssen im Berufsleben durchzustarten.

Mohamed Marchoui ist vom Modell überzeugt: „Ich finde es sehr gut! Am Anfang dachte ich erst: Lernen, das ist nicht so meins. Aber es war sehr gut, dass ich die Chance bekommen habe, Sachen nachzuholen.“ Nach Abschluss der Ausbildung möchte er weiterlernen und den Abschluss als Industriemechaniker machen. Nach zwei, drei Jahren Berufserfahrung würde er gern den nächsten Schritt gehen und den Meister wagen. Auch Anas Bachire hat sich dieses Ziel fest vorgenommen.

Mohamed Marchouis Ausbildungsbetrieb ist jedenfalls sehr zufrieden. Heike Kraus, Ausbildungsbeauftragte bei Infraserv Höchst, sagt: „Ich kann das Ausbildungsmodell absolut unterstützen, denn auf diese Weise gewinnen wir Fachkräfte, die besonders praxisorientiert sind und die wir sonst vermutlich nicht rekrutieren könnten.“ Projektleiterin Petra Esch bilanziert: „Die Lernprozessbegleitung durch die Ausbilder hat Erfolge. Wir können die Jugendlichen sehr gut im Rahmen der zweijährigen Ausbildung weiterentwickeln und brauchen nicht zwingend ein der Ausbildung vorgeschaltetes Jahr.“

Deutschlandweite Verstetigung soll kommen

Im Modellversuch „Ermöglichungsstrategien“ starteten im Jahr 2021 acht und im Jahr 2022 weitere fünf Teilnehmende. In Zukunft sollen noch viel mehr Jugendliche und Unternehmen von dem Ausbildungsmodell mit begleitetem Direkteinstieg profitieren.

Zunächst werden die Erkenntnisse aus der Durchführung der Metallausbildung mit den Chemie-Sozialpartnern reflektiert. Dies ist in der Beiratssitzung im 2. Halbjahr 2023 geplant. Dabei sind auch Fragen der Finanzierung einer solch intensiven sozialpädagogischen Betreuung zu klären. In den Transferüberlegungen wird berücksichtigt, wie das Modell auch für KMU realisierbar ist, die nicht auf einen überbetrieblichen Bildungsdienstleister zurückgreifen.

Außerdem kann das Modell auf andere zweistufige Ausbildungen innerhalb und außerhalb der Branche erweitert werden: Denkbar wäre das etwa für Fachlagerist mit der Option Fachkraft für Lagerlogistik. Hier ist Provadis bereits in Gesprächen mit ersten Unternehmen.

Damit ausbildende Fachkräfte in Unternehmen die Auszubildenden optimal unterstützen können, entwickelt das Projekt BBChemie auch spezielle Weiterbildungen.

Mehr Informationen

  • Einen Überblick über das InnoVET-Projekt „BBChemie“ bietet das Projektprofil.
  • Ausführliche Informationen zum Projekt gibt es unter provadis.de

Autor: Benjamin Dresen