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Aufstiegschance neben dem Meister: Smarte Gebäude planen und umsetzen : Datum:

Ende September startete die Fortbildung zum „Bachelor Professional in intelligenter Gebäudetechnik und Systemvernetzung“ des Projekts Exzellenz Handwerk. Bevor es losging, sprachen wir mit Projektleiterin Diana Plümper und Bildungsexperte Christopher Halfmann von der HWK Ulm über das neue Bildungsangebot für das Elektrohandwerk und wie es die Berufsbildung verändern könnte.

Exzellenz Handwerk Bachelor
Copyright: Handwerkskammer Ulm

inno-vet.de: Sie haben für das neue Angebot 18 Teilnehmende gewonnen! Wie haben Sie das geschafft?

Diana Plümper: 16 Teilnehmende starten ganz neu, zwei weitere haben zuvor unseren Geprüften Berufsspezialisten absolviert. Die Teilnehmer haben wir über eine E-Mail-Kampagne, kontinuierliche Ansprache in der Öffentlichkeit, persönliche Kontakte, gezieltes Suchmaschinenmarketing und unsere Landingpage www.fortbildung-elektrotechnik.de erreicht.

Christopher Halfmann: Bei den persönlichen Kontakten ist durchgeklungen, dass solch eine Fortbildung für das Elektrohandwerk am Markt nicht verfügbar ist. Das sind Teilnehmer, die ihr berufliches Know-how in Themenfeldern rund um Gebäudeautomation und erneuerbare Energien erweitern und vertiefen wollen. Ein Großteil der Teilnehmergruppe hat den Berufsabschluss vor mehr als acht Jahren erworben. Da hat sich fachlich seit der Ausbildung einiges getan. Es sind auch zwei Meister dabei. Ein paar Teilnehmende kommen über den Quereinstieg und haben einen Gesellenabschluss in einem anderen Bereich.

Diana Plümper
Diana Plümper ist Projektkoordinatorin von „Exzellenz Handwerk“ bei der Handwerkskammer UIm. Copyright: Handwerkskammer Ulm

Warum braucht es diese Fortbildung? Für welches Thema machen Sie die Teilnehmenden fit?

Christopher Halfmann: Die technologischen Innovationszyklen werden immer kürzer und von Kunden werden andere Lösungen nachgefragt als vor zehn Jahren. Diese Entwicklung geht mit sich stetig verändernden Anforderungen an die Fachkräfte einher. Durch die fortschreitende Digitalisierung entwickelt sich der Bereich Gebäudeautomation stetig weiter. Es kommen immer neue Funktionen und Geräte hinzu. Ein anderes Thema sind Schnittstellen zwischen den Gewerken. Es geht darum, Funktionsabläufe in Gebäuden gewerkeübergreifend zu verstehen und zu automatisieren. Das bringt andere Anforderungen mit sich, auf die wir die Teilnehmenden vorbereiten.

Abgesehen von inhaltlichen Fragen: Wie kann man die Attraktivität beruflicher Bildung durch neue Berufslaufbahnkonzepte stärken? Die Meisterqualifikation ist nach wie vor von hoher Relevanz für das Handwerk und die Betriebe. Dennoch lässt sich argumentieren, dass durch die Entwicklung zusätzlicher Angebote und alternativer Aufstiegsperspektiven das Handwerk für eine noch größere Zielgruppe interessant wird.  

Wie unterscheidet sich das neue Angebot von einem Meister-Abschluss?

Christopher Halfmann: Das war eine unserer zentralen Fragen bei der Konzeption! Natürlich gibt es Schnittmengen zwischen beiden Qualifikationsprofilen. Nichtsdestotrotz ist eine Abgrenzung klar erkennbar und es werden andere Schwerpunkte gesetzt. Der Bachelor Professional spezialisiert auf die Bereiche Gebäudetechnik, -automation und -vernetzung. Qualifikationsanforderungen zielen darauf ab, dass angehende Absolventen ein Verständnis von Gebäuden als komplexe Systeme entwickeln. In manchen Themenbereichen geht es fachlich mehr in die Tiefe als beim Meister. Im Meisterprüfungsberufsbild erfolgt eine starke Orientierung an den betrieblichen Arbeits- und Geschäftsprozessen. Unsere angehenden Bachelor Professional sollen hingegen insbesondere dazu befähigt werden, als Führungskraft projektbezogene Leitungsfunktionen und -aufgaben in Betrieben zu übernehmen. Wir haben das Angebot mit über 400 Stunden im Bereich Projektplanung und -abwicklung sehr stark aufgestellt. Für Betriebe kann es durchaus Sinn machen, einen Meister und einen Bachelor Professional in intelligenter Gebäudetechnik zu beschäftigen, da beide unterschiedliche Kompetenzen mitbringen.

Christopher Halfmann
Christopher Halfmann ist verantwortlich für das Bildungskonzept von „Exzellenz Handwerk“. Copyright: Handwerkskammer Ulm

Was ist das Innovative und Besondere an dem Angebot? Welche Wirkung kann es auf die Berufsbildung haben?

Christopher Halfmann: Bei Gewerken, in denen sich die Anforderungen stetig verändern, ist es möglich mit Fortbildungsabschlüssen, die eine Kammer als Zuständige Stelle erlässt, zeitnah eine hochwertige Qualifizierung anzubieten. Damit besteht ein Instrument, Bedarfe aus der betrieblichen Praxis schnell aufzufangen und Qualifizierungslücken zu schließen.

Diana Plümper: Mit dem inhaltlichen Fokus auf Projektleitung statt Unternehmensführung erreicht man andere Zielgruppen. Das hört das Handwerk nicht immer gern – die Unternehmensnachfolge zu regeln ist enorm wichtig und geht nur über den Meister. Über den Bachelor Professional bekommt man aber anders qualifiziertes und motiviertes Personal! Einer unserer Teilnehmenden sagt ganz klar: Den Gesamtbetrieb will ich gar nicht führen, aber ich möchte in der Hierarchie aufsteigen, ich möchte gern Projekte leiten.

Was steckt konkret im Thema intelligente Gebäudetechnik und Systemvernetzung?

Christopher Halfmann: Bei Intelligenter Gebäudetechnik und Systemvernetzung geht es um die smarte Vernetzung von Anlagen und ihren Komponenten. Gebäudeautomation kann mehrere Funktionen erfüllen: Neben der Sicherheit, dem Komfort und der Barrierefreiheit ist der energieeffiziente Gebäudebetrieb ein wesentliches Ziel. Potenziale, die hinter diesen Themen stecken, greifen wir in unserer Fortbildung auf.

Ziel ist, dass Teilnehmende zunächst lernen, das Zusammenwirken von Anlagenkomponenten zu analysieren und durch Digitalisierung und Vernetzung zu optimieren. Anschließend erweitern wir den Blick auf das Gebäude als ganzes System mit seinen unterschiedlichen Wechselwirkungen. Hier geht es auch vermehrt um den Blick über das eigene Gewerk hinaus. Teilnehmende lernen die unterschiedlichen Funktionen von Gebäuden als Produzent, Konsument und Energiespeicher kennen und werden in die Lage versetzt, effiziente und nachhaltige Gebäudesysteme aufzubauen.

Exzellenz Handwerk Start Bachelor Professional
Start mit guter Laune: Christopher Halfmann stimmt die 18 Teilnehmenden auf die Fortbildung ein. Copyright: Handwerkskammer Ulm

Welche Aufgaben sollen Absolventinnen und Absolventen in der Praxis übernehmen?

Christopher Halfmann: Unser Bachelor Professional versteht Gebäude und Projekte als komplexe Systeme: Er/sie ist Spezialist für den Bereich Gebäudeautomation und übernimmt als Führungskraft projektbezogene Leitungsfunktionen und -aufgaben. Absolventinnen und Absolventen sind in der Lage, Projekte unter Berücksichtigung relevanter Schnittstellen zu anderen Gewerken zu realisieren, Mitarbeitende projektorientiert zu führen und Leitungsaufgaben im Betrieb zu übernehmen.

Sie vergleichen und bewerten Möglichkeiten, effiziente und nachhaltige Gebäudesysteme unter Berücksichtigung von Nutzeranforderungen aufzubauen. Sie analysieren: Was ist der Status quo eines Gebäudes? Wie können die Energieflüsse optimiert werden? Die Absolventinnen und Absolventen beraten Kunden zu zukunftsweisenden Systemlösungen, Aspekten der Wirtschaftlichkeit und Fördermöglichkeiten.

Als Projektleitung sind sie eine wichtige Schnittstelle zu den Fachplanern der anderen Gewerke. Sie koordinieren Abläufe über das eigene Gewerk hinaus, behalten Chancen und Risiken im Blick und gewährleisten einen erfolgreichen Projektverlauf. In diesem Zusammenhang spielen in den Modulen auch Themen wie Bau- und Risikoüberwachung oder Termin-, Ressourcen- und Qualitätsmanagement eine wichtige Rolle.

Wie groß ist der Lernumfang? Wie werden die Inhalte vermittelt?

Christopher Halfmann: Die Inhalte sind in drei Säulen gegliedert: Intelligente Gebäudetechnik, Energieeffiziente Gebäudesysteme und Projektplanung und -abwicklung. Wir haben einen Lernumfang von über 1000 Unterrichtseinheiten plus Selbstlernphasen. Ein großer Teil des Kompetenzerwerbs – etwa 70 Prozent – findet nach wie vor in Form synchroner Lehr-Lern-Situationen statt. Wir verfolgen hier einen handlungsorientierten Ansatz mit dem Ziel, Teilnehmer über problemorientierte Lernformen praxisnahe Lernerfahrungen zu ermöglichen. 30 Prozent sind virtuelle Lerninhalte, wo wir Materialien insbesondere zur Vor- und Nachbereitung auf dem Lernmanagementsystem Moodle hinterlegen.

Darüber hinaus können sich die Teilnehmenden in vier digitalen Lernpfaden zeit- und ortsunabhängig etwa mit mathematischen oder elektrotechnischen Grundlagen vertraut machen bzw. diese auffrischen. Lücken können so geschlossen und Teilnehmende mit unterschiedlichen Bildungs- und Berufsbiografien auf ein gemeinsames Niveau gebracht werden. Das ist wichtig, da wir feststellt haben, dass wir es auf Ebene der höherqualifizierenden Berufsbildung mit sehr heterogenen Teilnehmergruppen zu tun haben. Die Materialien stehen auch am Ende für die Bachelor-Professional-Arbeit zur Verfügung.

Box: zitat

Berthold Grickscheit

„Wir kombinieren in der Fortbildung die Fachbereiche Elektrotechnik, Lüftung, Heizung, IT-Technik und schulen die Teilnehmer intensiv in Richtung gewerkeübergreifender Schnittstellen. Wer diese Fortbildung abschließt, hat sehr gute Voraussetzungen, um in der Gebäudeautomation in allen Bereichen einzusteigen: Von der Planungsphase über die Projektierung bis hin zur Programmierung bzw. Realisierung.“ 

Berthold Grickscheit, Grickscheit Gebäudeautomation GmbH, Dozent in der Fortbildung „Bachelor Professional für intelligente Gebäudetechnik und Systemvernetzung“

Wie sieht eine Bachelor-Professional-Arbeit in der Berufsbildung aus?

Christopher Halfmann: Bei uns geht es in der Abschlussarbeit darum, auf Basis der erworbenen Kompetenzen einen Kundenauftrag zu planen und, abhängig von der betrieblichen Situation, fiktiv oder in der Praxis umzusetzen. Angehende Absolventen müssen nachweisen, dass sie Automationskonzepte entwickeln können, die Gebäude effizienter machen. Die Arbeit gliedert sich in eine Grobplanung und eine Feinplanung sowie eine Projektpräsentation mit abschließendem Fachgespräch. Bei der Arbeit muss zwar wissenschaftlich sauber vorgegangen werden, es geht aber nicht darum, das Handwerk zur Wissenschaft zu machen! Wir fragen vielmehr: Wie kann das Handwerk von Wissenschaft und Forschung profitieren?

Wie funktioniert das Thema Prüfungen in der höheren Berufsbildung?

Diana Plümper: Das Prüferehrenamt ist eine Herausforderung der höheren beruflichen Bildung, denn es wird fachlich und zeitlich anspruchsvoller. Wir stoßen an eine Grenze, weil die Fortbildungsinhalte häufig über die Kenntnisse ehrenamtlicher Prüfer hinausgehen. Deswegen arbeiten wir mit gutachterlichen Stellungnahmen und Expertendelegationen, die Empfehlungen aussprechen. Denn wenn Betriebsinhaber 16 Bachelorarbeiten zu einem Kundenauftrag lesen sollen, die fachlich über ihre Kenntnisse hinausgehen – wie sieht da ein entsprechendes Modell aus? Das ist eine Erkenntnis unseres Projekts und ein Auftrag ans Berufsbildungssystem, hier Lösungen zu finden!

Die Fortbildung ist Teil eines Karrieremodells für das E-Handwerk: Was soll damit möglich sein?

Christopher Halfmann: Die Qualifikationsinhalte der drei Module, die auf den Berufsspezialisten vorbereiten, sind weitgehend identisch mit den Qualifikationsinhalten der ersten drei Module des Bachelor Professional. Wir können dadurch einen gemeinsamen Vorbereitungskurs für beide Angebote durchführen und verzahnen so die ersten beiden Fortbildungsstufen. Ein Teilnehmer kann die ersten drei Module absolvieren und ist dann – nach erfolgreicher Prüfung – Geprüfter Berufsspezialist. Er kann dann mit den Modulen vier bis neun weitermachen und den Bachelor-Abschluss erwerben.

Diana Plümper: Die Module werden zur gezielten Qualifizierung auch einzeln belegbar sein. Falls sich Fachkräfte in ihrer beruflichen oder persönlichen Situation keine umfangreiche Fortbildung vorstellen können, aber an einzelnen Inhalten stark interessiert sind. Oder wenn Betriebe ihre Mitarbeitenden fokussiert in einem Thema weiterentwickeln möchten. So machen wir das Angebot noch stärker und langfristiger sichtbar und mit diesem innovativen Ansatz und Inhalt zu einem Aushängeschild für die HWK und die Bildungsakademie Ulm.

Wie sind die Pläne und Perspektiven für den Transfer?

Diana Plümper: Neben einem übergreifenden Transferkonzept unseres Projektes und für unsere Produkte/Konzepte, in das wir viele Erkenntnisse aufnehmen, sprechen wir ergänzend von einem Roll-Out-Konzept, das operativer angelegt sein soll: Für interessierte Kammern planen wir Materialien und Konzepte bereitzustellen, die funktionieren. Eine Kammer müsste zunächst die entsprechende Rechtsvorschrift für den Bachelor Professional erlassen und kann dann die Materialien nehmen und den Kurs anbieten: Wir planen den Rahmenlehrplan, die Prüfungsregelung und ein Gutachten, das die Zuordnung zur Fortbildungsstufe empfiehlt, zur Verfügung zu stellen. Und könnten auch Kontakte zu Dozenten herstellen. Für andere Gewerke ist unser Konzept natürlich auch spannend. Diese möchten wir vermehrt für einen Schulterblick gewinnen und ihnen unsere Ziele, das Berufslaufbahnkonzept und unser Vorgehen vorstellen.

Benjamin Dresen führte das Gespräch.