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Alle Bildungswege kennenlernen – dann entscheiden: Studienintegrierende Ausbildung startet in NRW : Datum:

Viele junge Menschen brechen Ausbildung oder Studium ab. Mit der jetzt in Nordrhein-Westfalen gestarteten Studienintegrierenden Ausbildung des InnoVET-Projektes „SiA-NRW“ beginnen sie Ausbildung und Studium parallel, sammeln Erfahrungen – und entscheiden dann, welcher Weg für sie der richtige ist.

„Wenn ich das gewusst hätte!“ Vieles im Leben muss ein Mensch erst ausprobieren, um sagen zu können: Das ist mein Weg. Das gilt erst recht für den Beruf. Viele junge Menschen stehen nach der Schule vor der Entscheidung: Ausbildung oder Studium? Die Studienintegrierende Ausbildung (SiA) ermöglicht ihnen, beides kennenzulernen und erst dann zu entscheiden.

„SiA bietet gerade den noch unentschiedenen Schulabgängern die Möglichkeit, eine erfahrungsbasierte Entscheidung für ihren Bildungsweg zu treffen“, erklärt Maximiliane Berger vom InnoVET-Projekt „SiA-NRW“. Denn viele junge Menschen brechen bisher Ausbildung oder Studium ab, weil sie nach einiger Zeit erkennen: Das ist nicht der Weg, den ich gehen möchte. Zugleich suchen die Unternehmen händeringend nach qualifizierten Fachkräften und würden Abiturientinnen und Abiturienten den roten Teppich ausrollen.

Berufsschullehrer Marcel Söns mit SiA-Auszubildenden am Berufskolleg Jülich
Berufsschullehrer Marcel Söns mit SiA-Auszubildenden am Berufskolleg Jülich Copyright: Berufskolleg Jülich

Alle Optionen offenhalten

Das Besondere bei SiA ist: Die Teilnehmenden starten mit einer dualen Berufsausbildung und einem Bachelor-Studium parallel und sammeln in einer Grundstufe von 12 bis 18 Monaten Erfahrungen in beiden Bereichen. Erst danach entscheiden sie sich, unterstützt durch ein Coaching, ob sie die Ausbildung, beide Bildungsgänge oder das Studium weiterführen möchten. Sie halten sich also alle Optionen offen. Im Idealfall entscheiden sie sich, die Ausbildung auf einem der beiden möglichen Wege abzuschließen.

Ein weiterer Vorteil von SiA: Das Konzept ist konsequent von der Berufsausbildung aus gedacht, die Studieninhalte werden in eine duale Berufsausbildung integriert. Dabei arbeiten die Lernorte Berufskolleg, Betrieb und Hochschule Hand in Hand. Sie entwickeln gemeinsame Lehrpläne und stimmen die Lerninhalte aufeinander ab. Ausbildung und Studium sind also eng miteinander verzahnt. Praxiselemente sind bei SiA grundlegender Bestandteil und laufen nicht nur optional nebenher.

Das Projekt „SiA-NRW“ erprobt das von den Wirtschaftspädagogen Prof. Dieter Euler und Prof. Eckart Severing entwickelte Modell der Studienintegrierenden Ausbildung seit dem Ausbildungsjahr 2021/22 an zwei Standorten in Nordrhein-Westfalen: Zu den Pionieren zählt – neben dem Max-Weber-Berufskolleg in Düsseldorf mit der Hochschule für Ökonomie und Management (FOM) – außerdem das Berufskolleg Jülich, das mit der Fachhochschule Aachen die Ausbildungen Industriemechaniker/-in und Feinwerkmechaniker/-in mit dem Maschinenbaustudium kombiniert. Und das macht Sinn, denn einige Inhalte der Ausbildungen und des Studiums überschneiden sich sogar. So ist es möglich, die drei Studienmodule „Fertigungstechnik“, „Konstruktionselemente“ und „Wirtschaftslehre“ als Teil der Ausbildung am Berufskolleg zu unterrichten.

SiA-Azubi Nico Langen
Nico Langen sieht die Vorteile in der Anerkennung der Leistungen für das Studium. Copyright: Berufskolleg Jülich

Ausbildungsinhalte zählen für das Studium

„Wir haben in enger Absprache mit den Dozenten der FH einzelne Lernfelder zu Studienmodulen neu zusammengestellt, auf den Lehrplan aufgesattelt und die Inhalte auf ein DQR 6-Niveau gebracht“, erklärt Berufsschullehrer und SiA-Koordinator Marcel Söns. Die Module werden mit insgesamt 15 Creditpoints für das Studium angerechnet. Auch Ausbildungsinhalte aus dem Betrieb werden mit 30 Creditpoints auf das 210 Creditpoints umfassende Studium anerkannt. Dieser Ansatz, Studieninhalte in den Berufsschulunterricht zu integrieren und Ausbildungsinhalte für das Studium anzurechnen, wird an allen SiA-Standorten verfolgt werden. Azubi Nico Langen hat das überzeugt: „Ich sehe ganz klar die Vorteile darin, dass die Leistungen, die man in der Berufsschule bringt, aber auch im praktischen Abschnitt im Unternehmen, dass diese Leistungen in Form von Credits anerkannt werden.“

Schaubild zur Studienintegrierenden Ausbildung am Standort Jülich
So läuft die Studienintegrierende Ausbildung an den drei Lernorten ab. Copyright: Berufskolleg Jülich

Entscheidung erst nach 12 bis 18 Monaten

Die Auszubildenden lernen im ersten Studienjahr die Ausbildung kennen mit einem Tag in der Berufsschule und vier Tagen im Unternehmen. Der Kontakt zur Hochschule beschränkt sich zunächst auf ein Modul. Ab dem zweiten Jahr nimmt das Studium mit vier Tagen pro Woche viel größeren Raum ein. Die Auszubildenden sind dann noch für einen Tag am Berufskolleg und in den Semesterferien im Betrieb. Nach 12 bis 18 Monaten entscheiden sich die Teilnehmenden, welchen der drei Wege „Ausbildung“, „Doppelabschluss“ oder „Studium“ sie weitergehen möchten. Im dritten Jahr sind die Lernenden einen Tag pro Woche in der Berufsschule, ein bis zwei Tage im Betrieb und die restlichen Tage in der Hochschule. Nach zweieinhalb Jahren können sie bereits ihre Ausbildung abschließen und nach vier Jahren ihr Zeugnis als „Bachelor of Engineering“ in den Händen halten.

Da sich die Ausbildungsdauer von dreieinhalb auf zweieinhalb Jahre verkürzt, sind die Inhalte stärker verdichtet als bei einer „normalen“ Ausbildung. „Sie sind gefordert, das schneller aufzunehmen und zu verarbeiten“, sagt Marcel Söns über die aktuell fünf SiA-Azubis. Er weiß aber auch: „Das ist eine motivierte und fähige Truppe, die wir hier haben.“

Coaching stärkt die Auszubildenden

Ein wichtiger Teil des Konzepts ist das Coaching: „Es dient dazu, dass die jungen Leute begleitet werden, bis sie auf Basis ihrer gesammelten Erfahrungen entscheiden, welchen Weg sie am Ende gehen wollen“, erklärt Marcel Söns. Neben dem Coaching werden die Auszubildenden durch die Lehrkräfte eng begleitet und unterstützt. „Es ist ein sehr enger Kollegenkreis und eine sehr enge Lerngruppe. Wir bieten eine permanente Betreuung aus den Beobachtungen des Unterrichts an“, berichtet Söns. Dabei geht es neben der Karriereberatung um praktische Aspekte der Ausbildung wie Selbstorganisation, Methodentraining und Lerncoaching.

Der Berufsschultag ist aktuell so aufgeteilt, dass die SiA-Auszubildenden den halben Berufsschultag am Unterricht der normalen Industriemechaniker teilnehmen und die zweite Hälfte in einer eigenen Gruppe unterrichtet werden. Angestrebt ist für die Zukunft eine eigene SiA-Klasse, die auf dem höheren Niveau unterrichtet wird. „Der Einstieg hat mir sehr gut gefallen. Wir haben sehr viel Unterstützung von jeder Seite bekommen, von der Berufsschule wie auch vom eigenen Betrieb“, berichtet SiA-Azubi Moritz Beume.

Box: zitat

„Die Mitarbeitenden sammeln Einblicke in den Maschinenraum und auf der Brücke.“

Professor Dieter Euler, entwickelte das Modell der Studienintegrierenden Ausbildung

Unternehmen profitieren ebenfalls

Die studienintegrierende Ausbildung ist aber auch für Unternehmen attraktiv: „Es ist zu erkennen, dass Unternehmen es reizvoll finden, Mitarbeitende zu gewinnen, die zwei Perspektiven kennengelernt haben“, berichtet Joachim Liesenfeld von „SiA-NRW“. Professor Dieter Euler drückt das in folgendem Bild aus: „Die Mitarbeitenden sammeln Einblicke in den Maschinenraum und auf der Brücke.“ Das betont auch Marcel Söns: „Ich habe im Durchschnitt einen sehr interessierten, motivierten und lernfähigen Azubi im Unternehmen zur Verfügung. Und ich bekomme ganz neue Ansätze ins Unternehmen, die die Azubis aus der Hochschule mitbringen.“ Ein weiterer Vorteil von SiA: „Wir gehen davon aus, dass sich über die SiA eine engere Bindung aufbauen lässt“, sagt Joachim Liesenfeld. Denn Azubis, die sich für Ausbildung und Studium parallel entscheiden, arbeiten nach Abschluss ihrer Ausbildung weiter in einem Beschäftigungsverhältnis im Unternehmen. Diese haben so die Möglichkeit, ihre ehemaligen Azubis enger an sich zu binden und im Betrieb zu halten.

Neun weitere Standorte ab Ausbildungsjahr 2022/23

Am Berufskolleg Jülich und an der Fachhochschule Aachen soll nun mit jedem Ausbildungsjahr ein SiA-Jahrgang starten. Am zweiten SiA-Standort in Düsseldorf integriert das Max-Weber-Berufskolleg mit der FOM-Hochschule Module des Studiengangs Business Administration in die Ausbildung Kaufleute für Büromanagement. Ab dem Ausbildungsjahr 2022/23 kommen neun weitere Pilotstandorte hinzu, die von den Erfahrungen der ersten Standorte profitieren.

Damit in Zukunft mit der studienintegrierenden Ausbildung mehr junge Menschen direkt ihren Weg finden – und weniger sagen müssen: „Wenn ich das gewusst hätte!“

Alle-SiA-Standorte im Überblick:

OrtBerufskollegAusbildungsberufeHochschulenStudiengangStart
AachenBerufskolleg für Gestaltung und TechnikFachinformatiker/-innen für SystemintegrationHochschule NiederrheinB.Sc. Informatik2022
AachenBerufskolleg für Wirtschaft und VerwaltungFachinformatiker/-innen Fachrichtung AnwendungsentwicklungHochschule NiederrheinB.Sc. Informatik2022
DüsseldorfMax-Weber-BerufskollegKaufleute für BüromanagementFOM Hochschule für Ökonomie & ManagementB.A. Business Administration2021
EssenHeinz-Nixdorf-BerufskollegFachinformatiker/-innen (mit den Fachrichtungen Anwendungsentwicklung, Systemintegration, Daten- und Prozessanalyse, Digitale Vernetzung), Kaufleute für IT-Systemmanagement, Kaufleute für DigitalisierungsmanagementFOM Hochschule für Ökonomie & ManagementB.Sc. Wirtschaftsinformatik bzw. B.Sc. Informatik2022
FrechenNell-Breuning-BerufskollegKaufleute für Groß- und Außenhandelsmanagement (Fachrichtung Großhandel), Kaufleute für BüromanagementCBS International Business SchoolB.A. General Management2022
JülichBerufskolleg JülichIndustriemechaniker/-innen, Feinwerkmechaniker/-innenFH AachenB.Eng. Maschinenbau2021
KölnAlfred-Müller-Armack-BerufskollegKaufleute für Spedition und LogistikdienstleistungCBS International Business SchoolB.A. General Management2022
KölnBerufskolleg Köln-PorzAnlagenmechaniker/-innen Sanitär- Heizung- und Klimatechnik, Technische Systemplaner/-innenTechnische Hochschule KölnB.Eng. Energie- und Gebäudetechnik2022
KrefeldRBZB BK Kaufmannsschule KrefeldIndustriekaufleute, Kaufleute für IT-Management, Kaufleute für DigitalisierungsmanagementHochschule Niederrheinkonkrete Informationen folgen im Februar 20222022
MönchengladbachBerufskolleg VolksgartenstraßeIndustriekaufleuteHochschule NiederrheinB.Sc. Betriebswirtschaft2022
RemscheidBerufskolleg für Wirtschaft und VerwaltungIndustriekaufleuteFachhochschule des Mittelstands (FHM)B.Sc. Fernstudium Betriebswirtschaft2022

Das InnoVET-Projekt SiA-NRW

Die Verbundpartner:

  • Gesellschaft für Innovative Beschäftigungsförderung (G.I.B. NRW): Verbundkoordination
  • Bezirksregierung Düsseldorf mit der SiA-NRW-Geschäftsstelle: Koordination der Pilotstandorte und Kommunikationskonzept
  • Kreis Düren: Ansprechpartner der Hochschulen

Die Erprobung von SiA-NRW wird von Prof. Dieter Euler (Universität St. Gallen) und Prof. Nicole Naeve-Stoß (Universität zu Köln) wissenschaftlich begleitet und evaluiert.

Autor: Benjamin Dresen